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Vor 5 Jahren wäre diese Frage vermutlich nicht wirklich ernst genommen worden, aber im Zuge der immer deutlicher werdenden Klimakrise, der Coronakrise und dem sich abzeichnenden Energie- und Mobilitätswandel gewinnt sie zunehmend an Aktualität. Gerade der junge Zweig der Elektromobilität hat den Fahrradmarkt bislang deutlich stärker verändert als den Automarkt, wo die Mühlen naturgemäß langsamer mahlen. PKWs und LKWs sind große, schwere und komplizierte Geräte, die einen viel größeren Forschungs-, Test- und Produktionsaufwand mit sich bringen als die kleinen, wendigen Fahrräder. 2018 betrug der Anteil an E-Bikes in Österreich etwa 33 %, der von E-Autos magere 1,5 %. Dafür existierten 2019 rund 6,5 Millionen Fahrräder in Österreich gegenüber 5 Millionen Autos. Etwa jeder dritte Österreicher fährt laut einer 2017 durchgeführten Studie mehrmals die Woche mit dem Rad, 20% davon auch Strecken, die länger als 30 Minuten dauern. Im Gegensatz dazu sind rund 4 Millionen Autofahrten pro Tag kürzer als 5 Kilometer! Es gibt also durchaus noch Entwicklungspotenzial.
Doch zurück zur eingangs gestellten Frage: Der große Erfolg der vielen auf den Markt gekommenen E-Bike Modelle in den letzten Jahren lässt zumindest eine vorsichtig positive Beantwortung zu. Gerade im dichten Stadtverkehr ist das E-Bike dem Auto sogar in puncto Geschwindigkeit überlegen. Um aber eine wirklich differenzierte Antwort geben zu können, gilt es zunächst einen gründlicheren Blick auf die entsprechenden Fahrradmodelle zu werfen.
Die Fahrradmodelle bieten die Option mit und ohne E-Unterstützung: Es gibt dabei zwei Arten von E-Unterstützung:
1. Pedelecs: Diese dürfen in Österreich (und der EU) nur bis maximal 25 km/h elektrisch unterstützen und zwar mit einer Maximalleistung von 250-600 Watt. Diese E-Bike-Art ist die am meisten verbreitete.
2. S-Pedelecs: Diese E-Bikes unterstützen ihre Fahrer bis zu einer Geschwindigkeit von 45 km/h und gelten als Elektrokrafträder. Sie müssen daher ein Nummernschild tragen und versichert sein. Im Gegensatz zu Pedelecs dürfen sie in Österreich und Deutschland nicht auf Radwegen fahren.
Neben der gut bekannten zweirädrigen Bauweise gibt es jedoch noch weitere Fahrradversionen, die alle mit diesen beiden Arten der E-Unterstützung ausgerüstet werden können und die breite Nutzbarkeit von Fahrrädern erhöhen:
Liegefahrräder:
Hier sitzt der Fahrer nicht hoch auf einem Sattel und tritt nach unten, sondern liegt verhältnismäßig tief wie in einem Liegestuhl und tritt mit den Füßen nach vorne. Da hier die Balance schwieriger bzw. ungewohnter ist (dafür ist der Luftwiderstand geringer!), sind viele Liegeräder als Dreiräder ausgeführt. Durch den niedrigeren Luftwiderstand ist die Durchschnittsgeschwindigkeit dieser Modelle in der Ebene höher, nämlich bei 30-35 km/h. Sie sind vor allem in den Niederlanden weit verbreitet, wo das Land flach und sowieso der Anteil an Radfahrern sehr hoch ist (ca. 1,35 Räder pro Einwohner!).
Velomobile:
Diese Liegeradmodelle sind kaum mehr als Fahrräder erkennbar (was mit zu ihrer geringen Verbreitung beiträgt), da sie eine stromlinienförmige Verkleidung haben. Neben einem noch geringeren Luftwiderstand, der in der Ebene Durchschnittsgeschwindigkeiten von 40-50 km/h ermöglicht, bieten sie als einzige gängige Fahrradkategorie einen verlässlichen Wetterschutz.
Lastenfahrräder:
Diese Fahrradkategorie ist eine, die sich mittlerweile in vielen EU-Staaten einer Kaufförderung erfreut. Lastenräder sind Fahrräder, die Lasten von meist 80-100 kg, einzelne Modelle auch bis zu 300 kg und mehr befördern können. Es gibt sie sowohl in zweirädriger als auch dreirädriger Ausführung. Mittlerweile ist eine Pedelec-Unterstützung fast schon Standard, denn selbst in flachem Gelände ist das Bewegen einer zusätzlichen Last von 100 kg und mehr eine körperliche Herausforderung. Lastenfahrräder mit S-Pedelec-Unterstützung sind noch selten und beschränken sich auf zweirädrige Modelle. Gerade bei Modellen aus Übersee, die teilweise andere Regularien haben als die EU, können sich diese Fahrradkategorien auch überschneiden. Sie sehen teilweise schon wie Mikro-Autos aus und erreichen unterstützte Geschwindigkeiten von 32-40 km/h.
Einen echten Hybriden zwischen Fahrrad und Auto hat die schweizerisch-deutsche Firma FINE Mobile GmbH mit dem sogenannten Twike geschaffen, das seit 1995 produziert wird. Dieses Fahrzeug, bei dem der Fahrer mitpedalieren kann (aber nicht muss) ist deutlich schwerer und stärker motorisiert als selbst ein S-Pedelec (Gewicht 240-350 kg, Leistung 3-9 KW), jedoch leichter und effizienter als jedes Automodell und kann mit einer Maximalgeschwindigkeit von 85 km/h auch ähnliche Lasten befördern (Zuladung 155-265 kg). Durch seine Nischenposition ist es allerdings relativ teuer (33.000-49.000 €).
Fahrräder haben viele Vorteile. Sie sind auf kurzen Strecken bzw. im Stadtverkehr ebenso schnell, wenn nicht schneller als Autos, können wetterfest ausgeführt werden und Lasten bzw. Kinder befördern. Hinzu kommt ihre unschlagbare Effizienz. Selbst ein S-Pedelec verbraucht auf 100 km nicht mehr als 1,5-2 KWh, verglichen zu den 15-20 KWh, die ein E-Auto auf derselben Strecke verbraucht.
Das beste Fahrrad nutzt jedoch wenig, wenn die entsprechende Infrastruktur fehlt, sprich gut geschützte, von einer normalen Autostraße getrennte Radwege und entsprechende Stellplätze. Auch hier können die Niederlande als Vorbild und Modellregion gelten. Nachdem dort in den frühen 70er Jahren die Todesopfer im Straßenverkehr die unerträgliche Marke von 3.000 überschritten hatten, fand nach Fahrraddemos und Bürgerprotesten langsam auch ein politisches Umdenken statt. Der Radverkehr wurde nach und nach gegenüber dem Autoverkehr priorisiert. Die Straßen wurden mehr und mehr zu Radschnellwegen, auf denen die Autos oftmals mehr Gäste sind als Herrscher. Mit Breiten von 4,5 Metern bewältigen diese Fahrradhighways auch große Radfahrermengen ohne Probleme.
Von einem solchen Fahrradparadies sind wir in Österreich noch weit entfernt. Allerdings hat sich auch hier in den letzten Jahren einiges Erfreuliches getan. Der Ausbau des Radwegnetzes schreitet voran. Die neu geplante Mauthausener Donaubrücke wird etwa einen separaten Radstreifen erhalten und auch in NÖ sind Radschnellwege geplant.
Was noch fehlt ist ein übergeordnetes Konzept für den Radwegausbau, wie etwa ein Radschnellwegenetz, das alle Bezirksstädte miteinander verbindet und konsequent mit dem vorhandenen und weiter auszubauenden Eisenbahnnetz verknüpft. Denn egal wie sich die Radmobilität entwickelt, auf Überlandstrecken und auf weite Entfernungen wird das Auto immer überlegen bleiben. Daher wäre es auch so wichtig, die sogenannte kombinierte Mobilität zu fördern. Denn alle Fahrradmodelle (außer S-Pedelecs, hier gibt es eine Gesetzeslücke) können auch im Zug mitgenommen werden. Setzt sich die kombinierte Mobilität auf breiter Front durch, haben wir die Mobilitätswende geschafft.
Zusammengestellt von Renate Brandner-Weiß und Philipp Kronbichler
Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=26676376
Quellen:
https://www.radlobby.at/oesterreich/oesterreich-mehr-fahrraeder-als-autos
https://www.drahtesel.or.at/radnation-niederlande/
http://www.akkurad.com/velomobile.html
https://www.lastenfahrrad-zentrum.de/infos/lexikon/s-pedelec/
https://organictransit.com/product/elf-solo/
https://de.wikipedia.org/wiki/Fahrrad
https://de.wikipedia.org/wiki/E-Bike
https://de.wikipedia.org/wiki/Liegerad
https://de.wikipedia.org/wiki/Liegedreirad
https://de.wikipedia.org/wiki/Velomobil
https://de.wikipedia.org/wiki/Transportrad
https://en.wikipedia.org/wiki/Freight_bicycle
https://de.wikipedia.org/wiki/Twike
https://de.wikipedia.org/wiki/Radschnellweg
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Fahrradwegen_auf_stillgelegten_Bahntrassen
https://kurier.at/chronik/niederoesterreich/neue-pfade-fuer-die-biker-durch-das-ybbstal/401000273
https://de.wikipedia.org/wiki/Radschnellwege_in_den_Niederlanden
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